Gewichtheben
Die Neuseeländerin Laurel Hubbard sorgte schon vor ihrem Wettkampf in Tokio am Montag (02.08.2021) für Gesprächsstoff. Im Gewichtheben war sie die erste Sportlerin, die offiziell als Transgender-Athletin an Olympischen Spielen teilnahm. Für das Internationale Olympische Komitee (IOC) um Präsident Thomas Bach ist ihr Start ein Zeichen der Offenheit und Inklusion. Die einen feiern das als Sieg für alle Transgender. Andere kritisieren es als unfairen Wettkampf.
Der 43-Jährigen, die in der Klasse über 87 kg an den Start ging und dort nach drei ungültigen Versuchen ausschied, wurde bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen. Sie habe mit dem Gewichtheben angefangen, weil es ein männlicher Sport sei. Weil sie hoffte, so männlicher zu werden und wie ein Mann zu fühlen. Doch das sei nicht passiert, berichtete Hubbard in einem ihrer seltenen Interviews.
Sie bestritt zunächst Wettkämpfe gegen Männer und stellte sogar einen neuseeländischen Jugendrekord auf.2012 wechselte sie ihr Geschlecht und ihren Namen von Gavin zu Laurel. Nun war sie als erste offene Transgender-Athletin bei Olympia dabei und zählte im Vorfeld im Superschwergewicht trotz ihres Alters sogar zu den Medaillenanwärterinnen, die sie dann aber klar verpasste: Sie wurde Letzte in ihrem Wettkampf.
Kusterer: "Der Sport sollte eine Lösung finden"
"Im Prinzip halte ich es für ein positives Zeichen. Es ist schwierig, ob die Fairness im Sport gegeben ist, da sie schon eine Frau fortgeschrittenen Alters ist", erläuterte Sabine Kusterer, die als Gewichtheberin in der Gewichtsklasse bis 59 Kilogramm in Tokio Zehnte wurde. "Das spricht schon dafür, dass sie einen Vorteil hat, aber ich bin eher dafür, dass sie irgendwie startet, weil es sonst Diskriminierung wäre. Da sollte der Sport auf keinen Fall einen Riegel vorschieben, sondern eine Lösung finden, sodass alle Parteien glücklich sind", ergänzte die Gleichstellungsbeauftragte im Bundesverband Deutscher Gewichtheber.
Aktuelle IOC-Vorgaben erfüllt
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat 2015 mehrere Kriterien für die Teilnahme von Transgender-Athlet*innen festgelegt. Unter anderem müssen der Wechsel der Identität mindestens vier Jahre zurück- und der Testosteron-Gehalt im Blut in den zwölf Monaten vor einem Wettkampf unter einem bestimmten Wert (10 nmol pro Liter) liegen. "Sie hat diese IOC-Vorgaben erfüllt. Dann kann und muss man eigentlich von einem fairen Wettkampf sprechen", sagt Sportsoziologin Birgit Braumüller von der Sporthochschule Köln.
IOC-Chefarzt Richard Budgett verweist in Tokio und auf die künftigen Richtlinien. "Laurel Hubbard ist eine Frau und hat sich unter den Bedingungen des IWF (Weltverband der Gewichtheber) qualifiziert. Wir müssen ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit würdigen, dass sie tatsächlich an den Wettkämpfen teilgenommen und sich für die Spiele qualifiziert hat." Der neue Rahmen für den Umgang mit Trans-Personen kommt innerhalb der nächsten zwei Monate, daran sollen sich die Einzelverbände dann orientieren.
Der Anfang vom Ende des Frauensports?
Andere sind anderer Ansicht. Für Katherine Deves ist Hubbards Olympia-Start kein positives Zeichen fürInklusion, sondern der Anfang vom Ende des Frauensports. Die Sorge: Transfrauen dominieren den Frauensport.
"Der Frauensport ist jetzt für alle offen, die erklären, dass sie eine weibliche Geschlechtsidentität haben. Das hat Auswirkungen auf einen fairen Wettkampf, weil Männer Leistungsvorteile haben, die in ihrem biologischen Geschlecht begründet sind", so die Sprecherin der Gruppe Save Women's Sport Australasia. Ausschließlich den Faktor Testosteron herauszugreifen, führe zudem in die Irre. "Wir vernachlässigen die Anatomie, die schneller zuckenden Muskeln, die größeren Organe. Männer erholen sich schneller, haben stärkere Knochen, kein gekipptes Becken und sind deshalb weniger anfällig für Knie- und Sprunggelenksverletzungen. Die Liste ist endlos."
Wissenschaft benötigt mehr Daten
Der Testosteronspiegel sei derzeit das beste Kriterium, hält Yannis Pitsiladis von der University of Brighton dagegen. Irgendwann könnte man vielleicht auch weitere Werte hinzuziehen, so der Leiter der wissenschaftlichen Kommission des Weltverbandes für Sportmedizin, der auch Mitglied der medizinisch-wissenschaftlichen Kommission des IOC ist: "Wir brauchen einfach Daten von Menschen im Prozess der Transition im Spitzensportbereich, um die Physiologie, Anatomie etc. zu verstehen."
Aber ist der Wettkampf dann fair? "Die genaue Antwort auf diese Frage ist noch nicht sicher. Wir benötigen viel mehr Daten, bevor wir eine absolute Aussage dazu treffen können", sagt auch Joanna Harper. Die Langstreckenläuferin und Wissenschaftlerin hat selbst eine Geschlechtsumwandlung hinter sich. "Neun Monate nach meiner Hormontherapie bin ich zwölf Prozent langsamer gelaufen. Das ist der Unterschied zwischen ernsthaften männlichen Athleten und ernsthaften Athletinnen", berichtete sie im amerikanischen Fernsehen.
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Andere Sportler schildern, sie hätten durch die Hormontherapie stark an Muskelmasse verloren. Einige Studien deuten jedoch darauf hin, dass Kraftvorteile gegenüber anderen Frauen auch nach drei Jahren Hormontherapie weiter bestehen.
Die Konkurrenz in Tokio interessierten wohl vor allem die reinen Zahlen: Hubbard schaffte 1998 vor ihrer Geschlechtsanpassung eine Zweikampf-Bestleistung von 300 Kilogramm, 2019 wies sie eine Zweikampf-Bestleistung von immer noch 285 Kilogramm auf.
Weltverband für Sportmedizin: Grenzwert halbieren
Der Weltverband für Sportmedizin schlägt vor, den Grenzwert für Testosteron noch einmal zu halbieren. Ursprünglich sollten die Richtlinien noch vor den Spielen in Tokio verschärft werden, doch 2019 fand das einberufene Gremium von Wissenschaftlern keinen Konsens.Das IOC berät sich dazu und wird sich nach den Spielen in Tokio dazu äußern - und wohl auch äußern müssen, denn Hubbards Auftritt auf der Olympia-Bühne dürfte die schon lange und immer wieder geführte Diskussion weiter befeuern.
"Wir wissen, dass es bei Transgender-Athleten viele Fragen rund um die Fairness gibt. Aber ich möchte uns alle erinnern, dass Laurel alle erforderlichen Kriterien erfüllt", mahnt Richie Patterson, Präsident des Olympischen Gewichtheber-Teams Neuseeland, zu einem fairen Umgang mit der Gewichtheberin, die schon viel Kritik über sich hat ergehen lassen müssen. Wie 2019, als sie sich im Finale der Pacific Games gegen eine Samoanerin durchgesetzt hatte. "Egal, wie wir es betrachten, es handelt sich um einen Mann. Und es ist schockierend, dass dies überhaupt erlaubt wurde", sagte seinerzeit der samoanische Premierminister Tuilaepa Sailele Malielegaoi.
Hubbard: "Ich möchte einfach nur ich sein"
"Die Menschen glauben, was sie glauben. Und wenn man ihnen etwas zeigt, das vielleicht neu ist und anders als das, was sie kennen, lehnen sie es instinktiv erst einmal ab", sagt Laurel Hubbard. Ihr scheint der Rummel um ihre Person manchmal ein bisschen viel zu werden. Eigentlich würde sie sich am liebsten nur auf ihren Sport konzentrieren. "Ich bin, wer ich bin. Ich bin nicht hier, um die Welt zu ändern. Ich möchte einfach nur ich sein und machen, was ich mache."
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